Ein Ausschnitt aus meinem Alltag
Es ist Montagmorgen, das Schlafzimmer ist
noch Nachtschwarz, plötzlich ertönt der Wecker.
Aber nicht mit ohrenbetäubendem Lärm, sondern mit
einer angenehm klingenden Frauenstimme, die mir sagt:„Guten
Morgen, es ist jetzt Sieben Uhr fünfzehn“.
Noch etwas schlaftrunken quäle ich mich
aus dem Bett und schlurfe ins Badezimmer. Ein Blick in den
großen Spiegel verrät mir mit gemeiner Sachlichkeit,
dass die erst kürzlich vergangenen Feiertage etwas zu
üppig waren. Das Auge kann sich ja irren, besonders bei
mir: ich sehe ja nur noch zehn Prozent. Als ich mich auf die
Körperwaage
stelle, habe ich das Gefühl, dass ich nicht aus der Höhe
von einem Meter achtzig herabblicke, sondern aus dem Fenster
der dreißigsten Etage eines Hochhauses.
Früher musste ich in die Hocke gehen und meine Nase auf
die Anzeige drücken, aber das ist bei unserer Waage nicht
mehr nötig. Eine Männerstimme verkündet mein
tatsächliches Gewicht und ich habe die Gewissheit, dass
ich etwas kürzer treten muss.
Welch ein Glück, dass Kaffee keine Kalorien
hat, zumindest wenn man ihn wie ich pechschwarz trinkt. Aber
etwas essen musste ich ja und um den Überblick zu behalten,
stelle ich mir unsere sprechende
Küchenwaage auf den Tisch. Unsere neueste
haushaltstechnische Errungenschaft.
Nachdem ich die Brotmaschine hervorgeholt
habe, schneide ich mir mit der eingestellten Schnittstärke
eine Scheibe Brot ab. Hadere mit mir, keine zweite ab zu schneiden
und schalte die Küchenwaage ein. Mit einem freundlichen
„Hallo, Guten Tag“, begrüßt sie mich.
Durch den netten Gruß freundlich gestimmt, lege ich
eine Scheibe Brot auf die Waage.
Die Anzeige hätte ich nie lesen können, brauche
ich aber ja auch nicht. Die Stimme verrät mir das Gewicht
– 65 Gramm Brot zum Frühstück müssen
für mich genug sein.
Etwas frustriert begebe ich mich an meinen
Schreibtisch. Nachdem ich das Bildschirmlesegerät
eingeschaltet habe und auf den dazu gehörigen Monitor
blicke, muss ich feststellen; dass doch alles noch viel zu
klein ist. Aber ein schnelles Bedienen der leicht erhobenen
Tasten auf dem übersichtlichen Bedienelement stellen
die Ziffern in der richtigen Größe und Farbe dar.
Nach dem Durchlesen der einzelnen Akten fülle ich diese
unter dem Lesegerät aus. Danach folgt der Griff zum Telefon.
Mit einem gewöhnlichen Gerät könnte ich nicht
viel anfangen. Deshalb kaufte ich für mein Unternehmen
bei einem meiner Lieferanten ein anderes, ein für meine
Augen geeignetes Telefon. Dieses Telefon hat eine Tastengröße
eines 5-Cent Stückes. Telefonieren artet für mich
nicht mehr in Schwerstarbeit aus.
Es sind einige Telefonate, die ich führen
muss. Damit ich nicht den Überblick verliere, mache ich
mir auf meinem Diktiergerät
kurze Textnotizen über den Inhalt der Telefonate. Sehr
nützlich, da ich erstens nicht so schnell schreiben kann
und wenn ich es doch versuche, kann ich meine eigene Schrift
nicht mehr lesen.
Da klingelt es an der Tür. Ich stehe
sofort auf, da ich noch eine Lieferung erwarte. Durch Hektik
werde ich immer relativ unachtsam und stoße auch prompt
barfuss gegen eine herumstehende Wasserflasche. Diese ist
leider ziemlich schwer und ein stechender Schmerz fährt
mir durch meinen Fuß. Fluchend und vom Schmerz gezeichnet,
sacke ich auf den Fußboden. Gerade will ich anfangen
zu Schimpfen, da fällt mir ein: wenn ich mich mal konzentriert
hätte, hätte ich nicht so viele Blessuren - da helfen
dann auch keine Geräte mehr.
Ralf Priester
|